Diese Karten gehen zurück auf eine der bedeutendsten Wahrsagerinnen des 19. Jahrhunderts: Mlle Marianne Lenormand (1772-1843), eine Französin, die seinerzeit in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehrte, Fäden im Hintergrund größter politischer Ereignisse gezogen haben muss und mit der Gattin Napoleons, Joséphine, gut befeundet war.
Dabei ist es aber nicht das von Mlle Lenormand entworfene und benutzte "Originaldeck", welches sich bis heute durchsetzte, sondern ein etwas kleineres, 36 Karten starkes Deck (statt 52 Karten). Unter Mitwirkung namenloser Künstler wandelten sich also nach Mlle Lenormands Tod Kartenanzahl und Motive entsprechend den zeitgemäßen Ansprüchen: sie zeigten Alltags-Situationen der wohlhabenden Gesellschaft aus der Biedermeier-Epoche. Seit dieser Zeit haben sich die Motive dann nur wenig verändert - lediglich ihr Bedeutungsspielraum ist gewachsen. Man kann also aus diesen alten Motiven heute dennoch Informationen ziehen, die auf Telefon, Computer oder andere moderne Errungenschaften verweisen.
Damit ist schon angedeutet, worin der wesentliche Unterschied zum Tarot besteht: während der Tarot vor allem mit seinen großen Arkana archetypische, psychologisch wirksame Menschheitserfahrungen thematisiert, und damit eher introspektiv ist, konzentrieren sich die Lenormand-Karten auf konkrete, äußere Alltagssituationen und -motive.
Das wirkt auf den ersten Blick sehr simpel. Doch spätestens, wenn man bedenkt, dass jede einzelne dieser 36 Karten auf verschiedenen Ebenen gedeutet werden kann, erkennt man die außerordentliche Fülle des Lenormand-Systems. So kann etwa ein und dieselbe Karte als Person(en), Eigenschaft, Ereignis, Körperteil oder Zahl- bzw. Zeitangabe interpretiert werden. Im Gegensatz zum Tarot lebt das Lenormand-Orakel davon, dass jede Karte in Bezugnahme zu anderen Karten gedeutet wird. Entscheidend ist hier also die Frage, in welcher Umgebung einer bestimmten Karte sich welche anderen Karten befinden und inwiefern diese anderen Karten durch ihre Aussage die Aussage der bestimmten Karte modifizieren. Deshalb wird hier auch die Reihenfolge der Karten innerhalb einer Legung als wichtig zu beachten sein.
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